- Juni 7, 2021
Von Templern und einem knarzenden Haus
Na da wird wohl doch was zurückgeblieben sein von meinem latenten Sonnenstich. Ich stiefele gerade durch eine blühende Wiese, da eilt mir ein Templer entgegen. Kapuze tief ins Gesicht gezogen – und völlig ignorant. Ich sehe schon Templer. Das sind die mit dem roten Kreuz, ein Ritterorden, der laut Wikipedia irgendwie vom Jahr 1100 noch etwas bis 13 nochetwas die Pilger beschützte, aber nicht nur. “Macht der Weg auch eine Zeitmaschine?”, frage ich mich leicht irritiert – und blicke an mir runter. Nö, ich habe immernoch meine neuzeitliche Ausrüstung – auch mein frisch erworbener Pilgerstock ist bei mir. Vielleicht bin ich auch zu lange alleine mit mir… und drehe langsam durch. Doch der Reihe nach.
Also da soll mir einer sagen, der Jakobsweg sei überlaufen. Ist er nicht oder ich bewege mich völlig außer der Norm hier, denn ich bin schon die zweite Nacht fast ganz alleine in der Herberge. Das “außer der Norm” Ist irgendwie auch wieder passend, denn ich habs ja im Namen. Wie DU willst. Nicht wie die anderen.
Ich bin ein bisschen aus dem Standard-Etappen-Raster rausgefallen. Denn ich musste mal kurz eine kurze Etappe einschieben und in Rabanal del Camino einkehren. Ein malerisches Dorf. Irgendwie hatte ich recht früh eingecheckt in einer wunderbaren Herberge mit netten Menschen und ausreichendem Wlan – war zum Mittagessen – und danach ging gar nichts mehr. Sonnenstich – oder so was. Jedenfalls fühlte sich mein Kopf so eben sehr matschig an. Da bin ich erst mal ins Bett und da auch – bis auf einen kurzen Zwischenstep, den gregorianischen Pilgersegen zweier sehr souveräner Mönche) und ein Zoom-Gespräch nicht mehr rausgekommen bis morgens früh.
Ist auch klar: Ich hatte an dem Tag meine Kappe ziemlich spät aufgesetzt und bin den ganzen Tag mit meiner Kuscheljacke gelaufen. Kalt war es nicht, eher warm bis heiß, aber ich musste meinen Sonnenbrand an den Armen auskurieren. Und schlauerweise habe ich ja aus Gründen der Gewichtsreduzierung meines Rucksacks mein langärmeliges Shirt in der ersten Herberge gelassen. Dumm gel… na egal. Jedenfalls ging es schön sachte aber stetig bergan. Den ganzen Tag. Bis auf stattliche 1300 Meter Höhe. Da ist die Luft schon dünne. Das ist schon hoch, wenn “mein” höchster Berg in den Kmehlener Bergen liegt der weniger als 200 Meter hat..
Am Morgen war alles wieder fein, frisch bin ich in die neue Etappe gestartet: Durch wirklich nach all den tosenden Straßen – endlich Stille. – Nein eigentlich keine Stille. Frösche quaken, Vögel zwitschern, Bienen summen, der Wind rauscht – und ab und zu höre ich meine eigenen Schritte, manchmal auch meine Selbstgespräche. Sonst ist da NICHTS. Berge, Aussicht. Und so was von einer blühenden Vielfalt an der ich mich kaum satt sehen kann. Natürlich sind alle anderen Pilger schon weg. Und ich staune immer noch über Blümchen, Ginster und Heide in den verschiedensten Varianten. Es geht kräftig bergan. Heute habe ich Kraft und fühle mich wirklich wohl, obwohl ich heute den höchsten Punkt des Jakobsweges mit rund 1600 Höhenmetern erreichen werde. Gemessen hab ich es nicht. Tomas hat es mir erzählt. Tomas ist ein Einsiedler und Templer. Die roten Kreuze zieren schon seit Kilometern neben der Jakobsmuschel die Wegweiser. Ich wusste gar nicht so richtig, was Templer sind und hab mich belesen. Nun, Tomas ist einer der Ver-rückten, die hier oben, am höchsten Punkt des Jakobswegs ihren ganz eigenen Film spielen. Der Templerorden ist wieder auferstanden und in der Enklave Manjarin gibt es wenige windschiefe Hütten, seltsame Gestalten – und eben Tomas. Der kräftige Ex-Pilger läutet die Glocke als ich des Weges komme. Natürlich gehe ich gucken: Ganz in Templer-Manier bekomme ich die Frage: Coca Cola oder Wasser. Na bei so viel Charme: Da nehm ich doch Wasser. Tomas klärt mich über die Templer nicht auf, nur dass das eben so sei – er erzählt mir jedoch, dass seine Katze Prinzessin heißt und 4 Junge bekommen hat, sein Hund schwarz ist, aber eingesperrt, weil manche Pilger Angst vor Hunden haben. Und dass hier der höchste Punkt des Weges sei. Na, wenn Tomas das sagt.. Immerhin ist er 19 Mal den Weg gegangen. Und hier bleibt er jetzt, Sommer wie Winter – und gibt den Pilgern Getränke. Früher war es mal eine Herberge aber geht irgendwie gerade nicht. Genauer ist Tomas da nicht. Und, nein es gibt keine Fotos. Will er nicht. Ist ja schließlich sein persönliches Recht.
Ich verlasse Tomas und Princessa – und steuere das Cruz Ferro an. Eigentlich heißt es “eisernes Kreuz”, aber der Stiel vom Kreuz – zugegebenermaßen wirklich hoch, ist aus profanem Holz. Auch sonst hätte ich mir anhand der Fotos das Ganze etwas spektakulärer vorgestellt. Naja. Hier legen Pilger die Steine, die sie mitgebracht haben – mit ihren Sorgen ab. Das ergibt auch Sinn, am höchsten Punkt des Weges… Habe auch ein paar Sorgen da gelassen, aber kaum Zeit zum Reflektieren.
Vor mir sind sechs sportlich, sehnig drahtige Radler-Pilger angekommen. Hübsch sind die Radler anzusehen in ihren gestylten Sportdresses und den muskulösen Waden. Aber eben hektisch. Immer auf Höchstleistung. Schnell ein “Sechser-Foto” gemacht, noch wenigstens ein Rad dazu, dass man auch sieht, dass sie mit dem Rad hier waren – und fertsch. Bevor sie gehen, greift sich jeder einen der Steine die da liegen und wirft sie hinter sich. “Porque” frage ich einen der eiligen Radler. Der erklärt mir eilig – “Wirf ihn hinter dich und deine Sünden sind vergeben.” Meine Herren jetzt schon? “Ich dachte, erst in Santiago.. “
Na dann, ich greif mir einen Stein – und werfe ihn hinter mich. Bevor ich mich vom Acker mache, treffe ich einen Belgier, der in der Schweiz wohnt und eine sehr angenehme Stimme hat. Wir schnacken kurz, das übliche.. und dann eilt auch er weiter.
Warum bin ich so “bummelig”?? Keine Ahnung, habe auch eigentlich keine Lust darüber nachzudenken. Es geht durch Wald und Heide noch ein Stück hoch, dann runter. Das ist ungefähr so, wie der Findlingspark Nochten (aus der Lausitz) in XXL und in echt großer Höhe. Mehr Heide als Stein, aber immer wieder sehr feine Gesteinsformationen.
Nun bekomme ich Hunger, ein Dorf kommt vorbei und ich kehre ein. Eigentlich sollte es hier eine coole Pilgerherberge geben, wo gemeinsam gekocht wird.. aber die Hospitaleros sind wohl ausgezogen aus dem wirklich pittoresken Dorf hoch oben. Es ist Sonntag und beste spanische MIttagszeit, 14 Uhr. Alle Tische in dem Lokal mit Aussicht sind voll besetzt. Die Aussicht ist ein Traum. Das Essen auch. Aber ich will nicht bleiben, irgendwas zieht mich weiter. Ins nächste Dorf. Im Pilgerführer steht, dass man eigentlich bis Molinaseca gehen soll.
Aber dazwischen kommt ein wilder steiniger Abstieg, den will ich heute nicht mehr. Ich rufe im nächsten Dorf die Herberge an. Habe Glück, ich reserviere einen Platz. Haha, ich bin seit 30.5. der erste Pilger, der da einkehrt.
Na wunderbar: Wirklich. Ich treffe Oliviere – einen Spanier, der in Frankreich aufwuchs und wie der Zufall es wollte, nun seit 4 Jahren Hospitalero (also Gastgeber für Pilger) ist. Wir plaudern über Gott, Engel, Liebe, die Welt und das Business mit den Pilgern, das auch für unerschütterliche Optimisten wie Oliviere ab und an herausfordernd ist. Dieses Jahr waren mit mir 19 Pilger da. In einer Herberge, die am Tag 20 Pilger aufnehmen kann und die so wunderschön ist. Holz, ein altes typisches Steinhaus mit einem herrlichen Garten mit Nuss- und Stechpalmenbaum. Der Ort – sehr sehr empfehlenswert, heißt Riego de Ambros und es gibt nur eine Herberge. Die Pilger aber eilen weiter.
Ich nicht. Ich bleibe hier und alleine. Oliviere verlässt mich gegen 7 und da habe ich Haus und Hof für mich alleine. Es wird frisch hier oben und ich ziehe mich zurück ins Haus. Das Holz arbeitet, was ziemlich interessante Geräusche hervorbringt. Es knackt und knarzt in einer Tour. Mal hier, mal weiter fern. Angst hab ich nicht. Es ist ein guter Ort.
Und ehrlicherweise hat mich Oliviere auch eingeschlossen und ich hab mal vorsichtshalber noch das Fenster zum Dorfplatz geschlossen. Ich schlafe tief und träume wirr. Und steige früh ganz alleine bergab. In meinem Tempo, durch ein duftendes Tal voller Blumen und schattiger Bäume. Ein Träumchen. Molinaseca ist ein schöner kleiner Ort, aber da laufe ich durch. Als dann die Sonne doch zu warm wird, ziehe ich meine Jacke aus – und mache dazu an der Bushaltestelle Rast. Laufe fröhlich weiter, um nach 2 km festzustellen, dass ich meinen erst gestern erstandenen Wanderstock liegen lassen habe. Knurrend und murrend beschließe ich, umzukehren und die kurze Strecke noch mal zu laufen, um meinen Stock wieder einzufangen. Naja, was solls. Soll ja schlank machen, der Camino, meinte mein Templerfreund Tomas. Der muss es ja wissen.
Die Berge sind erstmal vorbei. Heute ist Straße laufen angesagt. Das tu ich auch – und bin wiedermal in einer Herberge ganz alleine. Ein Luxus für 10 Euro. Allerdings nur bis 11 Uhr abends, dann kommt doch noch ein Paar. Aber ist ok, ich bin ja noch wach.
Der Marketing-Hack für heute, den will ich dir nicht vorenthalten. In einem Dorf, in den Bergen hatte ich einen Kaffee und einen so was von sortierten Pilgershop gesehen, das ist der Wahnsinn. ALLES da, was ein Pilger braucht. Pflaster, Duschgel in kleinen Packungen, Trockenobst, Kondome, Wanderstöcke, Regenjacken, Andenken, Nähzeug, sogar EINLEGESOHLEN, einfach ALLES. Da hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht, was ein Pilger wirklich brauchen könnte. Das ist mein MarketingHack für heute. Wenn dein Angebot so ist, dass keiner mehr nachfragen muss, dann ist es gut. Wie du das rausfindest? Kenne deine Zielgruppe besser als dich selbst. Falls du dazu mal ne Frage hast, weil dein Business noch nicht so läuft, wie du es dir vorstellst, dann sag Bescheid.
Buen Camino, ihr Lieben.