Ein Königreich für einen Schirm

Ein Königreich für einen Schirm

Schirmkauf in Leon. Weil es doch gar nicht aufhören wollte zu regnen und ich noch ein bisschen die Stadt erkunden wollte, bin ich kurzerhand in einen Laden gestürmt und wollte einen Regenschirm. Paraqua. Ist klar oder „ein FürWasser“. Ich liebe Spanisch. Naja. Da hatte ich mir ja genau das richtige Geschäft ausgesucht. Schirmkauf als kultische Handlung. Der Mensch, der auch Regenschirme repariert, wie man sehen konnte, bot mir verschiedene Schirme an. Er wollte wissen, wofür genau ich den Schirm brauche, ob es auch ein windsicherer Schirm sein soll, eher Stadt oder Land… Ups. Naja. Schirm halt, dachte ich so. Nach einigen weiteren Angaben bekam ich einen Schirm hergezeigt. Ein Knirps. Windsicher. Sehr leicht. Nur die Farbe. Ich fragte vorsichtig, ob es den Schirm auch in Blau gäbe. NATÜRLICH. In 8 verschiedenen Blautönen. Ich befinde mich in einem Fachgeschäft! Dann wurde in aller Ernsthaftigkeit geprüft, ob der Schirm auch funktioniert. Jede Speiche wurde noch mal untersucht. Und ein neues Exemplar geholt. Scheinbar war an dem Schirm irgendwas nicht richtig. Dann durfte ich mal auf und zumachen. Nein, die Taste muss ich nur drücken, wenn ich den Schirm zumache. Oh. Sorry. Ich Dummerchen. Gut, dann legte mir der freundliche Verkäufer noch jede Falte des Schirms zurecht und entließ mich. Ehrlich, selbst wenn es nicht geregnet hätte, wäre das Schauspiel alleine die 11 Euro wert gewesen.

Abschied – Fazit

Abschied - Fazit

Short Version: Pilgern fetzt. Der Camino hat mich!

Long Version: Pilgern ist für mich genau das Richtige, obwohl ich mächtig Angst hatte und mehr als einmal hat mir El Camino mehr abverlangt als ich zu geben bereit war:

1. Mehr Sport in schlecht eingelaufenen Schuhen, die sich nach 10 Kilometern wie Blei an den Füßen anfühlen, als mir lieb war. Ein Dank an die unzureichende Beratung beim Schuhkauf! Und ein Dank an 16-Euro Schuhe, die mich rund 300 km getragen haben

2. Einsamkeit

3. Bei Schnee und Kälte draußen sein, einen 8 kg Rucksack auf dem Rücken haben und nicht genau zu wissen, wo ich Abends schlafe

4. Duschen ohne Badelatschen (ähba) – damit die nicht nass werden und man Socken drin tragen kann.

5. Schlafen mit 18-40 Leuten im Raum, darunter Wälzer, Schnarcher, Knisterer, Stöhner und Nachts-im-Schlaf-Erzähler.

6. Ganz alleine (also wirklich alleine) in einem einsamen Gehöft bei Eiseskälte in einer Scheune schlafen, während draußen die Katzen schreien und die Glocken läuten (nachdem der spanische Wirt spanische Schauergeschichten erzählt hat)

7. Versuchen, auf Englisch oder Spanisch seine Gefühle zu erklären und tiefgreifende Gespräche zu führen.

8. Loslassen und vertrauen, was kommt.

9. Das Unplanbare annehmen.

Andererseits hat mir der Weg unendlich viel gegeben — und seltsamerweise immer im richtigen Moment

1. Das Auftauchen anderer Pilger, die mich aufgemuntert oder „mitgenommen“ haben, wenn ich dachte, ich kann nicht mehr weiter!

2. Die wichtigen Gespräche mit Menschen von Südafrika bis Korea, Amerika, Irland, Australien bis Belgien zum Reflektieren und zum Mut machen. Die Erkenntnis, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn sich der Pilgergeist aus Solidarität noch weiter verbreiten dürfte.

3. Das Du-Selbst-Sein-so-wie-du-bist

4. Gespräche mit Gott / Das Buch UND die echten Gespräche

5. Unbeschwerte Selbstgespräche bei Windstärke 8-12, mal laut, mal leise – ohne dass dich jemand für verrückt erklärt.

6. Ein sehr interessanter Friseurbesuch in Logrono, ein wunderbarer Pilgerabend in Burgos, ein schmerzhafter Abschied in Leon

7. Die Kapelle in Logrono, warum, das weiß nur das Universum

8. Die Verbindung zu all unseren Lieben hier und dort

9. Wunderschöne Aussichten – Stille in der Natur – Vogelgesang von früh bis spät

10. Klarheit über das Wichtigste. Über Ziele und Wege. Und KRAFT.

11. Unfassbarer Genuss (Essen, Gespräche, Landschaft, Landsleute, Pilger)

12. Dankbarkeit

13. Dankbarkeit

14. Dankbarkeit

15. Liebe

Woran man gute Bars erkennt

Woran man gute Bars erkennt

Wenn möglichst viel Müll auf dem Boden liegt, die typischen Zahnstocher, mit denen der Spanier von Welt seinen Happen genießt – und dazu noch ein paar Servietten, dann ist das ein guter Laden. Stimmt übrigens.

 

Zivilisation ist auch ganz schön

Zivilisation ist auch ganz schön

So mein letzter reiner Pilgertag ist angebrochen. Ich bin in Leon unterwegs. Eine sehr schöne Stadt mit einer beeindruckenden Kathedrale und einem noch beeindruckenderen Kneipenangebot. Hier gibt es sie noch, die spanische Tapaskultur. Das bedeutet, du bestellst etwas zu trinken und dazu bekommst du kostenlos einen Happen. Ein Schinkenbrot, Käse oder whatever.. So kannst du dich quasi trinkend satt essen. Done!

Übrigens, was fällt euch an der Marienstatue auf?? Was ist anders? Auflösung persönlich;))

 

 

Spanisch

Spanisch

Der einzige warme Ort hier in dem Hostel ist die Gaststube. Hier spielen sich gerade interessante Szenen ab. Ich bin taub. Ein spanischer singender Macho hat mich aufs Ohr geküsst. Also zum Abschied. Man soll nicht Adios sagen, das sagt man hier nur, wenn man sterben möchte. OK, ist klar. Ansonsten sagst du hier gefälligst „Hasta Luego“ – bis bald. Hat er mir gerade nach dem tauben Kuss erklärt. Sein Kumpel, ein sehr alter Mann hat mir einen Magenschnaps ausgegeben und der mittelalte Macho einen Tee. Naja ist doch auch gut. Jedenfalls hat er (der mittelalte Macho) gerade erzählt, dass er Rammstein-Fan ist. Er kann fehlerfrei „Du hast…“ singen. Sehr theatralisch das Ganze. Das macht die kalte Herberge natürlich wieder wett. Also während natürlich um uns herum die Musik brüllt. Wenig Gäste, dafür aber sehr schön zu beobachten.

Durchaus kreativ

Durchaus kreativ

Die Dörfer hier sehen immer so aus, als wäre hier niemand (mehr) zu Hause. Also meistens siehst du niemanden. Allerdings hat fast jedes Dorf eine Bar. In der immer mindestens 2-3 Leute Kaffee trinken oder Tee oder Schnaps (Copito). Hier in dem kleinen Ort muss mal jemand gewesen sein mit einer Strickleidenschaft.

Herberge der besonderen Art

Herberge der besonderen Art

Heute habe ich mal wieder ein schräges Quartier erwischt. Schon interessant, was sich die Gastwirte hier am Weg so ausdenken. Hier bin ich jedenfalls in so einer Bastlerherberge gelandet. Alles gut, Kamin, lecker so eine Art spanische Gulaschsuppe mit Linsen. Das Bettenhaus allerdings – muy muy frio! Sehr kalt. Also draußen ist wärmer! Das will bei 2 Grad schon was heißen. Heute werde ich wieder froh sein, meinen Schlafsack zu haben. Dafür habe ich authentisches Camino-Feeling. ;))

In der Provinz Leon

In der Provinz Leon

Nun also letzte Etappe. Hinter mir müssten ungefähr 300 km zu Fuß liegen. Ganz schön viel. Eigentlich. Naja, die schnellen Australier oder der Ex-Bundi haben natürlich mehr hinter sich. Sie sind mir schon weit voraus. Heute war ich langsam am Start und langsam unterwegs. Das gab mir Zeit, den ganzen Reiz des Weges noch einmal auszukosten. Beispielsweise das Labyrinth in meine eigene Mitte zu gehen. Wenn ihr wissen wollt, was auf dem innersten Stein steht – dann müsst ihr selber laufen. Oder solche lustigen Hater-Kommentare zu lesen. Im Sommer muss es wirklich sehr busy sein hier.. Jetzt hingegen ist nichts los. Ich habe heute den ganzen Tag nur 3 Pilger getroffen. Schöne Landschaft dafür mehr.

Nachtrag

Nachtrag

Habe gerade den schlauen Australier wieder getroffen, der in Hongkong lebt mit seiner Singapur-Freundin. Da gehst du nichts ahnend durchs Dorf und triffst die wildesten Typen. Ihr wisst schon, das war der, den ich an der Waschmaschine getroffen habe und der mir erklärt hat, dass ich den Schmerz wegdenken soll. Die beiden haben beschlossen, langsamer zu gehen. Und guck: sie sind ja auch erst hier. Also das ist ein Dorf mit 600 Einwohnern max. Aber die Pilger sind irgendwie eine große Gemeinschaft. P.S. Sein Tipp hat funktioniert.

Was der Camino so erzählt

Was der Camino so erzählt

Der Weg erzählt eine Menge Geschichten, beispielsweise, wenn man aufmerksam durch Unterführungen geht, die Beschriftungen der Verkehrszeichen liest oder auch auf den Boden schaut. Überall haben kreative oder gelangweilte oder anderweitig inspirierte Pilger ihre Spuren und Geschichten hinterlassen. Viele sind hier, um den Verlust geliebter Menschen zu verarbeiten. Mein bisher schönstes Beispiel ist dieses hier. (Suchbild!)