- Juni 12, 2021
Senegalesisches Essen in den spanisch-galizischen Bergen
Ups, das ist ja spannend. Natalie ist irgendwie aus einer anderen Welt. Den “klassischen” Vorurteilen folgend, kann es nicht sein, dass sie aus diesem Dorf stammt. Da haben mich meine Vorurteile nicht getäuscht. Sie stammt aus Senegal und ihr Mann, ein Spanier, traf sie als Entwicklungshelfer. Nach ein paar Jahren Senegal und einigen Stationen in Spanien haben sie jetzt beide eine Alberque für Pilger. In einem kleinen Mini-Dorf, das aus 12 Häusern und zwei Herbergen besteht. Und Landschaft. Mehr ist nicht. Meistens (seit März 2021 zumindest) nicht mal viele Pilger! Seitdem sind die beiden, Natalia und Joe, ihr spanischer Mann, Hospitaleros – und was für welche. Ich komme relativ zeitig an und bin gleich mal mitten in die Familie integriert. Die beiden haben zwei lebhafte Steppkes, 7 und 10 Jahre jung – und – da ich, heute zumindest, der einzige Gast bin, habe ich volle Rundumbetreuung. Ich habe nicht nur ein Zweibettzimmer für mich alleine sondern auch die ganze Familie für mich. Es gibt Mittagessen (für spanische Verhältnisse pünktlich) zwischen 2 und 3, wenn die Kids von der Schule kommen. Salat, Pasta und Hühnchen. Wunderbar. Und Wein, den Joe aus den Katakomben holt. Näher dran an echten Menschen kannst du nicht sein – so was von echt, herzlich und zugetan. Ich sage, dass ich etwas arbeiten werde – und bekomme – mitten in der Zoom-Konferenz vom Chef des Hauses persönlich noch einen Apfel serviert. Träumchen. Preis: 15 Euro /pro Nacht. Da kannste echt nicht meckern.
Inzwischen bin ich angekommen auf dem Camino. Bin angekommen bei mir – ein Stück mehr. Wie macht das dieser Weg. Er zeigt konsequent wie wichtig das ist, bei sich zu sein. Entweder, wie gerade eben – ist Stromausfall und damit geht das Wifi auch nicht. Oder, wie heute früh, sind mal wieder meine mobilen Daten aufgebraucht. Jedenfalls geht dann kein Internet. Und was sagt mir das, der wichtige Post muss warten, der wichtige Termin verschoben werden.
Das ist blöd. Aber ich kann da inzwischen sehr entspannt sein.
Was ist denn wirklich wichtig?
Diese wunderbare reiche Natur. Die echten Menschen, die ich auf dem Weg treffe. Die Selbstüberwindung beim letzten wirklich heftigen Aufstieg. Da hatten auch echt trainierte Menschen richtig zu kämpfen. Ich auch. Das ist so ein Aufstieg, wo du am liebsten wirklich alle 2 Meter stehen bleiben willst und dir das Taxi heimlich herbeiwünscht. Kam aber keins.
Und dann habe ich das gemacht, was in solchen Situationen, wenn es steil (WIRKLICH STEIL) bergauf geht, und dir die Sonne ins Gehirn brennt – ich bin Schritt für Schritt gegangen. Mich hat nicht mehr interessiert, wie weit es noch ist, oder ob nach dem nächsten “Absatz” endlich wahlweise das ersehnte Dorf, Schatten oder eine weniger starke Steigung kommt. Ich bin einfach gegangen. Jeder Schritt war im Jetzt, egal was war und egal was kommt. Auf diese Weise bin ich tatsächlich angekommen.
In der familiären Pension bei Joe und Natalie bin ich tatsächlich 2 Tage geblieben, weil ich etwas arbeiten wollte. Hat auch ungefähr geklappt.
Am 2. Tag – kamen auf einmal weitere Pilger: Lars aus der Schweiz, 75 Jahre und ein wunderbarer Mensch. Redselig und auf seinem ersten Jakobsweg. Er hat ganze 23 (!) kg Gepäck mit sich. Ein Zelt, eine Isomatte, eine Hängematte und einen Kocher. Einfach alles ist mit ihm. Das ist natürlich viel zu schwer – so lässt er sein Gepäck von einer Station zur anderen transportieren.
Aber mal ehrlich: Mit 75 Jahren darf man auch mal ein paar kg zu viel mitnehmen.
Das andere “Paar” – ein Nicht-Paar. 1 x Schweiz und 1 x heimatlich vertraute Klänge. Da merke ich, wie brandenburgisch ich wirklich bin. Nennen wir ihn, Bernd, kommt aus Eberswalde und der Dialekt ist so vertraut. Er hat einfach hingeschmissen. 20 Jahre habe er nur gearbeitet – für seinen Chef. Und der scheint es etwas übertrieben zu haben, oder die Zeit war einfach reif. Bernd hat wie er sagt, “im Affekt” den Laptop und das Diensthandy in ein gelbes Postpaket gepackt, das zu seinem Chef geschickt und sein Kündigungsschreiben dazu gelegt. Setzte sich ins Auto und fuhr gen Süden. Bis Pamplona. Da begann sein Jakobsweg. Dabei hat er Verena getroffen, eine Schweizerin, die demnächst 50 wird. Sie sind beide so ein bisschen wie bei Loriot, wie ein altes Ehepaar. Dabei sind beide anderweitig gebunden. Pilgergeschichten mit viel Spaß.
Das schöne am Pilgern ist: Alle sind gleich. Du siehst nicht, wer Geld hat, wer keins hat, wer viel arbeitet, wer wenig. Du siehst nicht, wer gerade geschieden ist, jemanden verloren hat oder auch frisch verheiratet ist. Und gerade, wo ich hier sitze und das schreibe spaziert mein schleimi-Spanier vorbei, desssen Bierfahne wirklich legendär mindestens bis Santiago reicht. Er, der mir (und allen anderen Frauen) nette Kompimente macht a lá “Du hast sooo schöne Augen..:” Muss man das richtigs Maß aus Abstand und Nettigkeit finden, um den guten Frieden zu wahren. Jedenfalls werden wir heute die Nacht miteinander verbringen. Zusammen mit mindestens 20 anderen Pilgern im Schlafsaal.
Inzwischen habe ich die Bierza durchquert, eine Weingegend, hab einen lustigen Familienbetrieb gesehen, eine Herberge/Restaurant, wo ich ganz alleine war, habe den steilsten (hoffe ich wenigstens) Weg des Camino Frances erklommen und mir von einer Französin (66), die durch Corona 5 enge Verwandte verloren hat, die Blasen an den Füßen reparieren lassen. Ich habe Luis aus Argentinien getroffen, der mit dem Rad unterwegs ist und einen Spanier aus Granada, der seit 2 Jahren unterwegs ist. Auch er hat , ähnlich wie Bernd, einfach hingehauen. Er sei immerhin 39 – und da werde es Zeit, dass er sich mal um sich kümmere. Nun, der Weg wird es richten.
Ich trotte da neulich so die Straße lang, da treffe ich zwei Hunde. Einen Welpen und einen Struppi. Beide sind wohl der Meinung, ich müsse mit ihnen spielen. Hab aber keine Lust. Der Welpe sagt nix, Struppi ist auf Hundeart ungehalten und bellt wie ein Wilder.
Ach und dann ist es passiert. Ich habe das erste vierblättrige Kleeblatt gefunden, in meinem Leben. Krass. Das ist ein Beweis dafür, dass es geht. Denn bei José, ihr erinnert euch, der Typ mit dem Öko-Wein und den Kleeblättern – hatte ich beschlossen, dass ich jetzt auch mal ein 4-blättriges Kleeblatt finde. Hat geklappt. Ist wohl doch mehr Mindset als alles andere.
Zurück zur Albeque mit Familienanschluss. Da habe ich senegalesisches Essen bekommen. Und durfte richtig mit dabei sein, im Familienleben. Wunderbar. Ein weiteres Geschenk des Jakobsweges.